Unter dem Motto „Ein Bürgerwall für unsere Altstadt“ rief die Interessengemeinschaft „Alte Universität Erfurt“ während der Demonstrationen für Demokratie, Freiheit und politische Reformen im Herbst 1989 die Menschen der Stadt Erfurt auf, auch gegen den Verfall und den Abbruch historischer Bauten in der Erfurter Altstadt zu protestieren. Besonders das mittelalterliche Andreasviertel, das sich nordöstlich des Domplatzes befindet, hatte es hart getroffen. Immer größere Teile der nördlichen Innenstadt wurden flächenhaft umstrukturiert, indem die historische Bausubstanz abgerissen und durch industriellen Wohnungsbau ersetzt wurde. Zudem sah die Verkehrsplanung eine vierspurige Trasse direkt durch das Andreasviertel vor, wofür ein Großteil der verbleibenden historischen Bausubstanz hätte weichen müssen. Gegen diese Pläne brachten tausende Bürgerinnen und Bürger der Stadt Erfurt ihren Unmut zum Ausdruck und versammelten sich am winterlichen Vormittag des 10. Dezember 1989, um für den Erhalt der historischen Altstadt zu demonstrieren.
Sie hefteten sich das Denkmalschutzzeichen an ihre Kleidung, nahmen sich an die Hand und bildeten eine etwa sechs Kilometer lange geschlossene Kette um die gesamte Erfurter Altstadt herum. Damit nahmen sie die Entwicklung der Stadt in ihre eigene Verantwortung. Initiatoren der Menschenkette waren neben der IG „Alte Universität Erfurt“ auch die Bürgerinitiative „Altstadtentwicklung“, verschiedene Denkmalschutzeinrichtungen und Hotels. Mit etwa 3.000 gesammelten Unterschriften forderte die Bevölkerung einen sofortigen Abrissstopp von denkmalgeschützten Gebäuden, Plätzen und Straßenzügen, eine schnelle Sicherung verfallsgefährdeter Denkmalobjekte, eine finanzielle und materielle Unterstützung für Initiativen, die sich um den Erhalt und den Aufbau der historischen Bausubstanz kümmern, ein Umdenken in der Verkehrspolitik von der verkehrsgerechten zur altstadtgerechten Verkehrsplanung sowie eine öffentliche und demokratische Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner an künftigen Bauvorhaben. Diese Aktion hatte Erfolg. Das beherzte Einsetzen der Menschen vor Ort für ihr baukulturelles Erbe erhielt große Aufmerksamkeit in den Medien. Bereits einen Monat später, am 15. Januar 1990, beschloss der Stadtrat die Abrisspläne fallen zu lassen und damit den Weg für dringend erforderliche Sicherungsarbeiten im Andreasviertel freizugeben.[1]
Autorin: Caroline Kauert