„Gasometer sprengt man nicht!“
Als das Gaswerk Dimitroffstraße (heute Danziger Straße) im Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg 1981 stillgelegt wurde, waren die Anwohner*innen erleichtert, lange genug hatten sie den Gestank ertragen. Doch als wenig später die drei den Stadtbezirk visuell prägenden Gasometer abgerissen werden sollten, kam es zu Protesten gegen diese Pläne.
Seit 1873 war das IV. Berliner Gaswerk an der Dimitroffstraße in Betrieb, neben Gas wurden hier Koks und die Nebenprodukte Teer, Schwefel und Ammoniak hergestellt. Über die Jahrzehnte kam es zu zahlreichen Um- und Ausbauten auf dem Gelände. Anfang der 1980er Jahre beschloss das Zentralkomitee der SED die Stilllegung des veralteten Betriebs. Auf dem Gelände sollte die Wohn- und Freizeitanlage Ernst-Thälmann-Park entstehen und Platz für über 1.300 neue, innerstädtische Wohnungen schaffen.
Anfangs wurden die drei backsteinernen Gasometer in die Planungen integriert, immerhin bildeten sie ein weit sichtbares Wahrzeichen des Prenzlauer Bergs. Es gab sogar konkrete Ideen für ihre Nachnutzung. Doch dann wurden sie aus den offiziellen Planungen gestrichen, da ihre Standfestigkeit nicht gewährleistet werden könne, wie es am 13. Juli 1984 im Neuen Deutschland hieß.
Stattdessen sollte der Wohnpark ein neues, monumentales Denkmal für den von den Nationalsozialisten ermordeten Arbeiterführer und Vorsitzenden der KPD (Kommunistische Partei Deutschland), Ernst Thälmann erhalten. Den Entwurf für das vierzehn Meter hohe Denkmal lieferte der sowjetische Staatskünstler Lew Kerbel. Errichtet wurde es an der Greifswalder Straße, die als festgelegte Fahrtroute (Protokollstrecke) der Parteiführung in Richtung Wandlitz genutzt wurde.
Doch einige Anwohner*innen waren mit dieser Entscheidung nicht einverstanden – es kam zu Protestaktionen. Etwa 160 Eingaben, die sich gegen eine Sprengung der Gasometer aussprachen, zählte das Ministerium für Staatssicherheit. Hinzu kamen 200 registrierte Fälle, in denen selbstgefertigte Plakate, Spruchbänder, Aufkleber oder Fotomontagen mit Sätzen wie „Gasometer sprengt man nicht“ oder „Denk Mal“ verteilt oder gut sichtbar platziert wurden. Neben Personen aus der Kunst- und Kulturszene sowie der Umwelt- und Friedensbewegung beteiligten sich Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen.
Der von der Anwohnerschaft des Prenzlauer Bergs getragene Protest blieb ohne Erfolg, die Gasometer wurden am frühen Nachmittag des 28. Juli 1984 gesprengt. Der Ernst-Thälmann-Park mit seinen Wohngebäuden, öffentlichen Grünflächen, Sport- und Freizeitanlagen wurde 1986 eingeweiht. Nichtsdestotrotz markierten die Proteste gegen die Sprengung der Gasometer den ersten, zumindest teilweise auch sichtbaren Widerspruch der Stadtbevölkerung gegen staatliche Stadtplanungs- und vor allem Abrissmaßnahmen.
Autorin: Julia Wigger