Studie Wohnkomplex Glaucher Straße

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Der Plan zeigt Stufe III des Umgestaltungsvorschlags für das Gründerzeitquartier südlich der Hallenser Innenstadt. Entlang der Glauchaer Straße sollten Zeilenbauten die Wohnungen der abzureißenden Bausubstanz ersetzen, während die Baublöcke im Inneren des Quartiers saniert werden sollten. Die Blockinnenbereiche wurden zu gemeinschaftlichen Innenhöfen umgestaltet. Quelle: Doehler, Peter (1960): Altbauwohngbiete, Bild 80.

 

Ergebnis eines Forschungsprojekts der Deutschen Bauakademie im Jahr 1959, das von Peter Doehler geleitet wurde, war ein Umgestaltungsvorschlag für ein Gründerzeitgebiet südlich der Hallenser Innenstadt. Dieses Ergebnis ist insofern bemerkenswert, als dass es – ganz im Geiste der Zeit – industriell hergestellte Zeilenbauten als Ersatz für abzureißende Gründerzeit-Altbauten vorschlug, aber nicht nur: So sollte ein großer Teil der Altbauten auch erhalten und modernisiert werden. Das Argument hier war allerdings keine Wertschätzung der alten Straßenzüge, im Gegenteil, denn diese wurden durch die Forschungsgruppe rhetorisch stark abgewertet. Neu war allerdings der strikt wirtschaftliche Zugang: Ende der 1950er Jahre spielte die Wohnungsfrage eine bedeutende Rolle in der DDR. Der Wiederaufbau nach dem Krieg war nur schleppend vorangekommen und so wurden im Laufe der 1950er Jahre Wege gesucht, zahlenmäßig mehr Wohnraum herzustellen. Inzwischen war es auch offizielle Linie geworden, die bestehenden Bauten bei der Wohnraumversorgung mit einzubeziehen und zumindest mittelfristig als Wohnungsressource zu nutzen.

Peter Doehler (1924-2008), Architekt und Wirtschaftswissenschaftler, spielt eine wichtige Rolle bei der ökonomischen Bewertung von Altbaugebieten. In seiner etwa zeitgleich abgeschlossenen Dissertationsschrift führt er zentrale Begriffe ein, die das Bauwesen der DDR noch lange beschäftigen würden. So wurde im Kontext dieses Forschungsprojektes erstmals ein theoretisches Fundament für die Bewertung der sogenannten Restnutzungsdauer gelegt. Die Idee, dass Bauten nur eine gewissen Lebensdauer von etwa 80 bis 120 Jahren hatte, war kein Spezifikum des Sozialismus und galt insbesondere in den Vereinigten Staaten des frühen 20. Jahrhunderts als Motor der Baukonjunktur.[1] Ab den späten 1950er Jahren wurde es auch in der DDR common sense in der Planung und war bis in die späten 1980er immer noch irgendwie aktuell.

Außerdem wurde eine Systematik zur Bewertung von Bauzuständen in vier Stufen entwickelt, die bis zum Ende der DDR nur leicht modifiziert wurde. Anhand dieser Bauzustandsbewertung wurden zum Beispiel Abrissplanungen vermeintlich rational begründet und planerisch legitimiert.

Die von Doehlers Gruppe vorgeschlagenen Planungen wurden letztendlich in dieser Form nicht realisiert. Aber das Gebiet blieb eine planerische Herausforderung für die lokale Stadtplanung und wurde später immer wieder neu beplant.

Die Studie stellt ein Beispiel für einen pragmatischen Zugang zu Altbauten dar, wie er typisch für die Planungspraxis dieser Zeit war. Gleichzeitig wurde damit auch eine zerstörerische Stadtplanung ökonomisch legitimiert – gegen diese richtete sich später nicht nur in Halle der Protest der Bürgerinitiativen.

Autor: Jannik Noeske

Literatur:

[1] Doehler, Peter und Autorenkollektiv (1960): Altbauwohngebiete. Städtebauliche Grundlagen für ihre sozialistische Umgestaltung, Berlin.

Doehler, Peter: Altbauwohngebiete. Städtebauliche Grundlagen für ihre sozialistische Umgestaltung, Berlin: Deutsche Bauakademie 1960 (Schritenreihe Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung).

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