Im DDR-Bauwesen war mit dem Begriff der sogenannten „komplexen Rekonstruktion“ ein Verständnis der sozialistischen Umgestaltung besonders von Altbauwohngebieten verbunden. Diese wurde im Kontext einer industrialisierten Bauwirtschaft geplant und durchgeführt. Erstmals wurde er auf dem VI. Parteitag der SED im Jahr 1963 als städtebauliche Aufgabe definiert. Im Verlauf der 1960er Jahre hat sich ein Verständnis entwickelt, das die Rekonstruktion als „Erneuerung“ von bestehenden Gebäuden sah und einen „Komplex“ aus Maßnahmen der Erhaltung, der Instandsetzung, der Modernisierung sowie des (Ersatz-)Neubaus bildete. Als betriebswirtschaftlicher Begriff aus der Sowjetunion importiert, bezeichnet die Rekonstruktion nach Andreas Putz die Erneuerung vorhandener Vermögenswerte auf neuer technischer Grundlage. Somit meine der Begriff im Bauwesen einen Umgang mit bestehenden Altbauten, der nicht nur, aber auch auf Abriss und Neubau setze. [1]
Der Begriff der (komplexen) Rekonstruktion ist in seiner Verwendung äußerst unscharf. Florian Urban betont das Spektrum aus städtebaulichen Maßnahmen, das zwischen Abriss und Neubau ganzer Quartiere und der äußerlich wie strukturell akkuraten Erneuerung des Bestandes unzählige Facetten aufweisen konnte. [2] Ob die Rekonstruktion dabei als Überbegriff für die sogenannte „Einheit aus Instandhaltung, Modernisierung und Neubau“ verwendet oder in diese Aufzählung eingereiht wurde, variiert stark und verdeutlicht die Ungenauigkeit in der Verwendung in der DDR. Die Begriffsunschärfe lässt sich auf den politökonomischen Hintergrund des Wortes zurückführen, vor dem Rekonstruktion allgemein den Erneuerungsprozess von volks- und betriebswirtschaftlichen Produktionsmitteln nach festgelegten zeitlichen und technischen Abläufen bedeutet.
„Komplex“ bezieht sich in der Regel auf Maßnahmen, die über den reinen Wohnungsbau hinausgehen und Einrichtungen der sozialen und technischen Infrastruktur beinhalten, so zum Beispiel Kinderkrippen oder die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln (siehe Komplexrichtlinie). [3]
Der DDR-Begriff der „(komplexen) Rekonstruktion“ ist von der heutigen Vorstellung von Rekonstruktion – Nachbau von nicht mehr vorhandenen historischen Gebäuden – zu unterscheiden.
Es handelt sich ähnlich wie bei den Konzepten der intensiven und extensiven Stadtentwicklung und des physischen wie moralischen Verschleißes um eine städtebauliche Ausprägung des rationalisierten und ökonomisierten Bauwesens in der DDR.
Jannik Noeske
[1] Putz, Andreas (2019): Wo Paul und Paula lebten. Zur Erhaltung und „Rekonstruktion“ des Baubestands in der DDR, in: Tino Mager und Bianka Trötschel-Daniels (Hg.): Rationelle Visionen: Raumproduktion in der DDR, Weimar, S. 80–99, hier S. 85.
[2] Urban, Florian 2006): The Invention of the Historic City – Building the Past in East Berlin, Berlin, Dissertation an der Technischen Universität Berlin, S. 90-101.
[3] Atmadi, Sigrid (2012): Die komplexe sozialistische Rekonstruktion von Altbaugebieten in dem ehemaligen Ost-Berlin, Berlin, Dissertation an der Technischen Universität Berlin, S. 32.
Zurück zur Übersicht