Musäushaus – Albert-Schweitzer-Gedenkstätte
Der berühmte Arzt, Philosoph und Theologe Albert Schweitzer war – höchstwahrscheinlich – selbst nie in Weimar. Warum gibt es dann ein Denkmal ihm zu Ehren, sogar eine Gedenk- und Bildungsstätte, die seinen Namen trägt und der Bewahrung und Vermittlung seines Erbes verpflichtet ist??
Um diese Frage zu beantworten, muss man in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückgehen, als sich Albert Schweitzer (1875-1965) auf dem Höhepunkt seines weltweiten Ansehens befand. Durch den Ausbau des Missionshospitals in Lambaréné (Gabun) seit 1913 und durch seine ethischen Impulse vor allem in der europäischen und nordamerikanischen Öffentlichkeit hatte er sich einen Namen gemacht.
Auch in der DDR fanden sich Freunde und Förderende seines Werkes. Da ist zum Beispiel der Pfarrer Rudolf Grabs (1900-1993), der schon seit den späten 1940er Jahren zu Schweitzers Leben und Werk publizierte. [1]
Besonders präsent ist Gerald Götting (1923-2009), Parteichef der Block-CDU von 1966 bis 1989 und bekennender Christ. Götting und Schweitzer standen in engem Briefkontakt und pflegten ein vertrautes Miteinander, wussten sich aber auch gegenseitig zu instrumentalisieren. Götting besuchte Schweitzer zwei Mal in Lambaréné, drei weitere Besuche nach Schweitzers Tod sollten folgen. [2]
So gehörte Götting auch zu den Gründungsmitgliedern des Albert-Schweitzer-Komitees mit Sitz in Dresden, das unter dem Dach des Roten Kreuzes der DDR und seinem Präsidenten Werner Ludwig (1914-2001) im Jahr 1963 gegründet wurde und fortan die Spenden für das Hospital koordinierte und versendete.
Als Schweitzer 1965 im Alter von 90 Jahren verstarb, organisierte Götting spontan eine Gedenkveranstaltung in Berlin. Schnell entstand die Idee, ein Denkmal für den Tropenarzt zu errichten – nur wo? In Berlin hatte der Elsässer 1899 ein Semester lang studiert, in Leipzig hatte er zur Zeit der Weimarer Republik einen Ruf an die Universität ausgeschlagen – soweit die biografischen Verflechtungen zum Gebiet der damaligen DDR.
Der Schwerpunkt der Albert-Schweitzer-Arbeit hatte bis dato eher im Südosten der DDR gelegen. In der Oberlausitz und in Dresden waren schon vor Gründung des Komitees erste Freundeskreise gegründet worden, in Dresden hatte auch das Komitee seinen Sitz.
Ein Denkmal im Bezirk Erfurt
Die Block-CDU als Geldgeberin des Denkmals hatte jedoch eigene Pläne. So sollte es anlässlich des 12. Parteitags im Oktober 1968 aufgestellt werden. Dieser Termin war schon im Frühjahr 1966 avisiert worden, wie aus einem Schreiben Gerald Göttings an den DDR-Kulturminister Klaus Gysi hervorgeht. Der Parteitag der DDR-CDU würde in Erfurt stattfinden, wie bereits die Parteitage 1960 und 1964. Deshalb sollte das Standbild zu Schweitzers Ehren im Bezirk Erfurt aufgestellt werden – zur Debatte standen damals Weimar und Eisenach. Eisenach war als Bach-Stadt naheliegend, um Schweitzer als Organisten und Bach-Biografen zu würdigen. In Weimar wiederum konnte der humanistische Kontext der Weimarer Klassik bedient werden. Es war schließlich das Kulturministerium, das entschieden hatte, dass Weimar der geeignetere Standort wäre und dass der Ilmpark eine angemessene Kulisse bieten würde.
Eine im Januar 1967 durch den Weimarer Rat der Stadt gebildete Kommission, der Vertreter*innen der wichtigsten Weimarer Institutionen angehörten, hatte allerdings andere Ideen. Der von der Stadt favorisierte Standort wäre am Graben gewesen, alternativ wurden Standorte im Weimarhallenpark, im Neubauviertel Weimar-Nord, an der Kegelbrücke oder am Poseckschen Garten vorgeschlagen.
Ortsbegehung
Nach einer Ortsbegehung entschied sich der Bildhauer des Denkmals, der Hallenser Gerhard Geyer (1907-1989), gegen all diese Standorte. Aber auch städtebaulich kamen sie nicht in Frage: So wäre das Denkmal am Graben durch den Kasseturm, ein Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung, optisch erdrückt worden. Der Bau des Neubaugebietes (Komplexstandort) Weimar-Nord war erst ab 1975 vorgesehen. Im Weimarhallenpark war es eine geplante Hochstraße zur verkehrlichen Entlastung, die ganz im verkehrsplanerischen Zeitgeist errrichtet werden sollte und den Standort des Denkmals im zweitgrößten Stadtpark Weimars erheblich beeinträchtigt hätte. Der Standort am Poseckschen Garten wurde aufgrund des „verwahrlosten Eindrucks“ abgelehnt, denn die Sanierung der Gebäude und der Grünanlage hätte wohl einen erheblichen Aufwand verursacht. So jedenfalls wurde innerhalb der Parteispitze der CDU argumentiert.
Also entschied sich der Bildhauer schließlich für den für ihn städtebaulich am attraktivsten Standort am Kegelplatz im Norden der Weimarer Altstadt. Der Bildhauer schätzte das historische Ensemble, den alten Baumbestand und eine „intime Atmosphäre“, die er aber gleichzeitig nicht „fern oder gar abseits vom pulsierenden gesellschaftlichen Leben der Stadt“ vorzufinden wusste, wie er 1969 in einem Zeitungsinterview schilderte. [3]
Für die feierliche Einweihung im Oktober 1968 beauftragte der Weimarer CDU-Bürgermeister Ludwig Steidle den städtischen Hauptplanträger Werterhaltung mit der Fassadengestaltung am Kegelplatz,. Dieser sollte auch für das Publikum, das anlässlich der Einweihung aus der ganzen Welt anreisen sollte, denkmalpflegerisch ertüchtigt werden.
Flächenabrisse, wie sie in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in diesem Bereich im Zuge der sogenannten Umgestaltung des Stadtzentrums geplant waren, hinderten die beteiligten Akteure in diesem Falle nicht bei der Aufstellung des Denkmals und der wenigstens oberflächlichen Sanierung des Ensembles am Kegelplatz.
Musäushaus
Mit dem Ende der 1960er Jahre wurden die Planungen für die umfassende Umgestaltung des Weimarer Stadtzentrums auch obsolet. Im Laufe der 1970er Jahre wurde der Denkmal- und Stadtbildpflege in der Weimarer Innenstadt größeres Gewicht beigemessen. So war es auch naheliegend, ein denkmalgeschütztes Gebäude zu sanieren, als das Albert-Schweitzer-Komitee am Anfang der 1980er Jahre mit Geld aus einem privaten Vermächtnis eine Bildungs- und Gedenkstätte gründete. So konnte im Jahr 1980 für etwa 13.000 DDR-Mark das Musäushaus erworben werden, ein spätbarockes Wohnhaus, das der Märchendichter Johann Karl August Musäus (1735-1787) bewohnt hatte.
Der Weimarer Oberbürgermeister Franz Kirchner, ebenfalls „Unionsfreund“, hatte sich für diese Nutzung eingesetzt, finanziert wurden die Einrichtung der Gedenkstätte und die fünf Personalstellen allerdings durch das Rote Kreuz in Dresden. 1984 konnte die Gedenkstätte eingeweiht werden.
Nachdem ihre Existenz nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zeitweise gefährdet schien, hat sich die Gedenkstätte bis heute als Bildungsort und Gästehaus erhalten und verfolgt immer noch das Ziel, das geistige Erbe Albert Schweitzers zu pflegen und zu verbreiten.
An die Vielfalt des Engagements für Lambaréné in der DDR erinnert heute nicht mehr viel. Dabei ist die Konstellation aus Denkmal und Gedenkstätte ein Ausdruck dafür, wie in manchen Bereichen staatliche, halbstaatliche und gesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen kooperieren konnten. Auch um zum Beispiel ein denkmalgeschütztes Haus vor dem Verfall zu bewahren.
Autor: Jannik Noeske