„Balanceakte in Spannungsfeldern“ – KulturInstitutionen der DDR als Freiraum und Arena des Bürgerengagements für den Altstadterhalt

 

1. Volksbaukonferenz Leipzig, Tagungsbericht von 1990. Wir haben versucht die Rechteinhaber*innen ausfindig zu machen, leider erfolglos. Bitte wenden Sie sich an uns, sollte Sie Informationen zu den Urhheber*innen, Rechteinhaber*innen oder Nutzungsrechten haben.

 

Im Forschungspaket AP 5 wird die besondere Rolle und Bedeutung der staatlichen Kulturinstitutionen bei der Erhaltung der Altstädte vor und ab 1990 betrachtet, ihre Wirkung oder Nicht-Wirkung.

Im Fokus der Untersuchung stehen zunächst jene Kulturinstitutionen, die in der DDR dem Bereich Kultur bzw. dem Ministerium für Kultur zugeordnet waren und an der Nahtstelle zum Altstadterhalt agierten.

Aufbauend auf der bisherigen Forschung und in Ergänzung zu den bisherigen Erkenntnissen werden die Rolle, Bedeutung und Wirkung der Kulturinstitutionen untersucht. Begonnen wird mit den Veröffentlichungen des

Kulturbund der DDR,
Verband bildender Künstler der DDR sowie
Bund der Architekten in der DDR.

Untersucht wird weiter die Rolle der Kirchen, hier zunächst die des kirchliches Forschungsheimes in Wittenberg. Gefragt wird nach Formen der Zusammenarbeit und Netzwerken, u.a. zwischen den Kulturinstitutionen sowie mit den Kirchen.

Es wird der Frage nachgegangen werden, ob es widerständiges Verhalten gegen den staatlichen Umgang mit der alten Stadt gab und in welcher Form es Widerspruch gegen den Verfall der Altstädte gab. Gefragt wird, ob kontroverse Diskurse zu Sichtweisen und Entscheidungen in den o.g. Kulturinstitutionen möglich waren und in welcher Form dies geschah.

Widerständiges Verhalten wird dabei im Sinne der Infragestellung des Umgangs mit der historischen Bausubstanz verstanden und unterschieden von jenen Formen, die den allumfassenden Herrschaftsanspruch der SED infrage stellten, begrenzen oder eindämmen wollten. Unterschieden werden hierzu verschiedene Formen, die sich als widerständiges Verhalten einordnen lassen, wie z. B. die parlamentarische Opposition, gesellschaftliche Verweigerung, sozialer Protest, fachlicher Dissens oder Massenprotest.

Dabei interessiert uns auch die Motivation jener Bürger, die staatliche Planungen und Ziele

infrage stellten. Wir untersuchen, unter welchen Bedingungen Widerspruch möglich war.

Zur inhaltlichen Konkretisierung des Widerstandsbegriffes wird dabei auf die Typologisierung von Widerstand und Opposition von Neubert zurückgegriffen. Die Begriffe Opposition und Widerstand werden dazu voneinander abgegrenzt. Unterschieden wird zwischen Opposition, Widerstand

und Widerspruch v. a. auf die Legitimität des Handelns. „So versteht Neubert als Opposition all jene, die die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten nutzten, um die SED zur Einhaltung dieser Normen und Rechte zu veranlassen. Im Gegensatz dazu bewegte sich der politische Widerstand nicht in diesen legalen Handlungsräumen und strebte die Schwächung oder die Beseitigung des SED-Regimes an. Der politische Widerspruch stellt für Neubert die dritte und am weitesten verbreitete Form des

Dissens dar. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er keine politischen oder ideologischen Alternativen anbot und keine organisatorischen Strukturen ausbildete“ (NEUBERT 2000, S. 25-33).

Darüber hinaus interessieren auch Hintergründe für das Verhalten der Verantwortlichen in den Institutionen. Unterstützten sie die Bestrebungen der Bürger, die gegen Stadtverfall eintraten, verhielten sie sich widersprüchlich in ihrer Rolle und Funktion oder behinderten sie sogar bürgerschaftliche Aktivitäten zum Erhalt und zur behutsamen Erneuerung der Altstädte?

Auf Basis erster Erkundungen zum Thema und bisher gesichteter Veröffentlichungen wurden Ansätze und Arbeitsthesen erarbeitet, die als Leitfaden für die Forschung dienen. Als Orientierung gedacht, können sie Widerspruch auslösen und werden im Laufe der Untersuchung ergänzt und weiterentwickelt.

Einige Arbeitsthesen:

Für die Auseinandersetzung um die Altstädte spielten verschiedene Kulturinstitutionen bzw. Netzwerke in der DDR eine wichtige Rolle, die an der Basis auch mit oppositionellen Gruppen zusammenwirkten. Allen voran der Kulturbund, aber auch Künstlerverbände. Eine besondere Rolle spielte die HAB Weimar, Sektion Städtebau und Gebietsplanung.
Inhalte der Protokolle, Dokumente und Veröffentlichungen, Diskurse und Statements spiegeln dieses Geschehen und die Haltungen der beteiligten Akteure zum Thema Altstadtverfall und verdeutlichen konkretes Engagement gegen deren Verfall.
Die Veröffentlichungen und Protokolle der Kulturinstitutionen beziehen sich immer auf konkrete Anlässe bzw. Problemstellungen an konkreten Orten in konkreten Situationen in Stadtquartieren oder laden sich an Objekten/Symbolorten auf, mit denen sich die Bürger besonders identifizierten.
Es gab Vereinigungen innerhalb der Kulturinstitutionen der DDR, welche die BürgerInnen nutzten, um gesellschaftliche Missstände zu ändern. Sie bildeten Ausgangspunkte der „StadtWende“ in der DDR sowie oppositionelle Keimzellen der ‚Wende 1989‘. Zwischen diesen Bürgeraktivitäten in der DDR zur Erhaltung der Altstädte und den Neugestaltungs- und Sanierungsprojekten der Altstädte nach 1990 besteht ein direkter Zusammenhang.
Es gab Bürgerinitiativen in der DDR, diese können aber nicht mit den Bürgerinitiativen westlicher Prägung gleichgesetzt werden.

Ausgehend von diesen und weiteren Arbeitshypothesen werden die Haltungen zur Altstadt und Altstadtverfall sowie die Wirkung der Akteure der Kulturinstitutionen im Zusammenhang mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungssituation betrachtet werden. Gefragt wird, welche Formen des sozialen Protestes in den Kulturinstitutionen der DDR möglich waren. Gab es einen Dissens beim Umgang mit der Altbausubstanz und öffentliche Kritik? War dieser politisch oder vor allem fachlich motiviert?

Vorgehensweise und Arbeitsschritte

Um die auf die Baupolitik einwirkenden Faktoren darzustellen, werden Architekturtrends ebenso erfasst wie die materiell-ökonomischen Entwicklungsbedingungen in den sowjetisch besetzten Gebieten.

Begonnen wurde mit einer breiten quantitativen Suchbewegung zu den realpolitischen Rahmenbedingungen, unter denen die Bauwirtschaft der DDR agierte. Genauer betrachtet werden sollen dann jene Faktoren, die besonderen Einfluss auf die Bauwirtschaft hatten. Dazu erfolgt zunächst die chronologische Erfassung der Entwicklungen im Umgang mit der alten Stadt im Kontext relevanter historischer Ereignisse. Ziel der Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist es zunächst, Wechselbeziehungen zwischen der Stadt-bzw. Altstadtentwicklung und vorherrschenden politisch-ideologischen Zielsetzungen, machtpolitischen Interessen, Vorgaben sowie Beschränkungen zu identifizieren. Wesentliche Einflussfaktoren, die das Geschehen in der Bauwirtschaft in der DDR tangierten und auf die Entwicklung in den Altstädten einwirkten, werden zu unterschiedlichen Zeiten und wechselnden Rahmenbedingungen erfasst und analysiert.
Die Entwicklungen in der DDR und der Verlauf der Geschichte der DDR wird dabei nicht aus der Perspektive des Endes heraus interpretiert werden, sondern soll aus der Perspektive des Anfangs, mit offenem Ausgang dargestellt werden.

Die Vorgehensweise ist iterativ, offen und suchend und erfolgt, bezogen auf genannte Institutionen, aus Gründen der Praktikabilität zunächst quantitativ begrenzt vor allem auf den mitteldeutschen Raum. Abhängig von den Rechercheergebnissen wird die Suchbewegung dann schrittweise auf die verschiedenen Bezirke der DDR ausgeweitet.

Dabei werden Informationen zusammengetragen und analysiert, welche Themen für welche Orte wichtig waren und aus welcher Perspektive diese in den Institutionen behandelt wurden.

Ab Sommer und Herbst 2019 wird die Analyse der Briefe des Kirchlichen Forschungsheimes vorgenommen. Es folgt die Sichtung der Inhalte und Beiträge zum Thema Altstadt des Bund der Architekten in der Fachzeitschrift des Verbandes „Architektur der DDR“. Stellungnahmen, Vorschläge und Maßnahmen allgemeiner Art und zu konkreten Situationen werden systematisch und nach Schlagworten erfasst, getrennt nach Bezirken und Institutionen geordnet.

Wir wollen zudem wissen, welche Autoren welche Zielsetzungen und Haltungen zum Umgang mit der alten Stadt zu welchen Zeiten vertraten.
Wir wollen wissen, an welchen Orten sich Bürger in den Kulturinstitutionen oder im Umfeld konkret für den Erhalt der alten Städte eingesetzt haben und in welcher Form. Erkennbare Zusammenhänge zwischen den Aktivitäten der verschiedenen Kulturinstitutionen und Akteursnetzwerken werden erfasst.
Welche Projekte und Themen waren für welche Orte und zu welchen Zeitpunkten wichtig und warum?
Gab es in den Institutionen unterschiedliche Auffassungen und Diskurse? Welche Inhalte, welche Akzente werden gesetzt, welche Schwierigkeiten werden benannt?
Welche Faktoren veränderten den Umgang mit der alten Stadt in den siebziger und achtziger Jahren, warum gab man zuvor die alten Städte dem Verfall preis?
Gab es politische Zwänge, welche Spielräume blieben und wie wurden sie genutzt?

Anschließend, ab Frühjahr 2020, ist eine Sichtung weiterer Unterlagen des Kulturbundes im Archiv der Massenorganisationen in Berlin vorgesehen. Darüber hinaus werden die archivalischen Überlieferungen der regionalen und lokalen Kulturinstitutionen in Form von Protokollen aus dem Bestand auf die Wahrnehmung der denkmalpflegerischen Belange und relevante Diskurse und Inhalte zum Thema Altstadtentwicklung untersucht.

Anschließend werden die bei der Recherche und ersten Gesprächen entstandenen Interpretationsansätze und Fragestellungen sowie Eindrücke zu vermuteten Akteursverbindungen ab Herbst 2020 empirisch in Form von Zeitzeugeninterviews überprüft und abgeklärt.
Hierbei soll auch in Erfahrung gebracht werden, ob und welche Entwicklungen bereits in der DDR auf den Weg gebracht werden konnten und ob diese Ansätze Bedeutung für die Erneuerung der Altstädte in den 1990er Jahren erlangten.

Einschränkungen:

Da jeder Versuch der Darstellung einer historischen Situation, einer wirklichen Situation nie gerecht werden kann, wird der Weg exemplarisch metaphorischer Situationsdarstellung gewählt.
Am Beispiel verschiedener Städte wird exemplarisch herausgearbeitet werden, ob und welche Möglichkeiten und welche Formen widerständigen Verhaltens genutzt wurden, um den Umgang mit der historischen Bausubstanz zu kritisieren und/oder sich für den Erhalt der alten Stadt einzusetzen.
Um ein differenziertes Bild der DDR zu zeichnen, werden Unterschiedlichkeiten der Realsituationen herausgearbeitet und unterschiedliche Perspektiven beispielhaft an Orten/Städten beleuchtet.
Für jeden Bezirk werden typische/relevante Beispiele beschrieben werden, wenn möglich chronologisch nach Phasen des Umgangs mit der Altstadt geordnet.

Sven Kröber