11. und 12. Juni 2019
Die Lösung der „Wohnungsfrage“
Mit dem Einstieg in die konkrete Forschungsarbeit haben alle Beteiligten eine Anschauung von Dimension und Vielschichtigkeit des Forschungsthema Stadtwende gewonnen. Dies spiegelten die lebhaften Diskussionen während der zwei Tage, an denen die 15 Forscher*innen und Hochschullehrer der drei beteiligten Universitäten und des IRS Erkner an der Uni Kassel in Klausur gegangen waren. Die Wende zeitigte in fast allen Städten der DDR einen radikalen städtebaulichen Kurswechsel. An dieser Dynamik , bei der das Dreiecksverhältnis von Planer*innen, Stadtgesellschaft und Staat im Fokus steht, ergeben sich ausgeprägte Analogien zur aktuellen Debatten um Beteiligungsverfahren, Partizipation, „Recht-auf-Stadt“ und gegen offizielle Planungen aufbegehrende Bürger*innen.
Einen für alle Beteiligten wertvollen Beitrag bildete der gemeinsam von Gastgeber Harald Kegler (Universität Kassel) und Holger Schmidt (TU Kaiserslautern) gehaltene Vortrag zur DDR-Wohnungsbaupolitik und ihren Konsequenzen für die Stadterneuerung des Landes. Die in den 1960er Jahren vom Politbüro getroffene Entscheidung, die „Wohnungsfrage“ in der DDR durch Konzentration auf die industrielle Bauweise, also Methoden des modularen Bauens zu lösen, erwiesen sich als fatale Weichenstellung des DDR-Städtebaus; denn fortan wurden fast alle ökonomischen Ressourcen in den Plattenbau gelenkt.
Zugleich war die Baupolitik auf Ebene der Staatsführung stark von der Fixierung auf quantitative Kennzahlen bestimmt, dagegen kaum von qualitativen, die Gesamtstadt betrachtenden Gesichtspunkten. Max Welch Guerra (Weimar) sieht im DDR-Städtebau „das paradigmatische Beispiel einer konsequent zu Ende gedachten Moderne, für Fordismus im Städtebau“. Während die Erzeugnisse der Plattenbau-Werke von den Wohnungsbaukombinaten an den Rändern der Städte zu satellitenartigen Siedlungen gruppiert wurden, verfielen die Kernstädte immer mehr. Die DDR hatte kein Rezept für den Bestand. Wo sich Planer*innen dennoch für diesen stark machten, erreichten sie ihre Ziele nur unter Schwierigkeiten oder auf Umwegen. Die Ausführungen von Kegler und Schmidt, beide selbst in den frühen 1980er Jahren an der HAB Weimar als Planer ausgebildet, machten die so konfliktträchtige wie ambivalente Position ihres Berufsstandes in der DDR anschaulich.
Planer*innen in Opposition zum Planungssystem
Neben dem Wissenstransfer und den daran anknüpfenden Fragen und Diskussionen stellten die jeweils zuständigen Wissenschaftler*innen den Arbeitstand ihrer Forschung sowie – teils – der daran anknüpfenden Promotionsvorhaben vor.
Dabei entpuppten sich teils auch die Begrifflichkeiten als Herausforderung, etwa jener des „Altstadtverfalls“, der ja ein zentrales Thema des Forschungsprojektes darstellt. So bestand in der DDR ein spezifisches Stufensystem für die Bewertung eines Gebäudezustands; es dominierten technoide Begriffe wie „Verschleiß“ und „Restnutzungsdauer“.
Neben dem formellen und informellen West-Ost-Fachaustausch wird in den Teilaufgaben des Projekts beispielsweise die Bedeutung des nationalen Fachdiskurses am Beispiel der Fachzeitschrift Architektur der DDR betrachtet. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Bürger*innen-Komitees und Initiativen, die sich in der Spätphase der DDR gegen die Städtebaupolitik ihres Staates wendeten – und dabei das Feld bereiteten für den radikalen städtebaulichen Paradigmenwechsel ab Spätherbst 1989.
Prioritäre Untersuchungsstädte
Die bisher geführten Interviews mit Zeitzeug*innen stützen dabei eine Ausgangsthese des Forschungsprojektes: Dass sich Planer*innen der bezirklichen und städtischen Planungsbüros und kritische Stadtöffentlichkeiten zwar im Prinzip als Kontrahenten gegenüber standen, faktisch jedoch vielerorts informell kooperierten oder Planer*innen „nach Feierabend“ selbst aktiv an stadterhaltenden Engagements mitwirkten.
Mit Blick auf die spätere Auswahl von Modellorten, die vertiefend betrachtet und untersucht werden, stellten die Partner*innen des Forschungsprojektes eine Städteliste zusammen und stimmten anschließend über die themenspezifische Priorität der aufgelisteten Städte ab. Da mit mehreren Stimmen befürwortet, dürfen die Städte Ost-Berlin, Halle, Erfurt, Greifswald und Weimar als gesetzt gelten. Auch Leipzig, Potsdam, Brandenburg und Görlitz sowie die Lutherstadt Wittenberg scheinen besonders vielversprechend.
Letztes wesentliches Thema des zweiten Tages war die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Es bestand Einigkeit, dass der im Herbst bevorstehende 30-jährige Jahrestag der Wende ein guter Anknüpfungspunkt aktiver Öffentlichkeitarbeit zum Projekt sei.
Text: Frank Peter Jäger/15.07.2019
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