1981 wurde mit dem Beschluss der Partei- und Staatsführung der DDR mit den Arbeiten für den Bau des Nikolaiviertels in Ost-Berlin begonnen. (vgl. Rietdorf 1989) Das zwischen 1981 bis 1987 errichtete Viertel ist eines der bedeutendsten Beispiele für den Wandel in Stadtplanung und Städtebau der DDR, der Mitte der 1970er Jahre auch auf internationaler Ebene einsetzte. An den Debatten um die Entwicklung des Nikolaiviertels werden die sich wandelnden Positionen zur Stadtentwicklung, Stadtzentren und zum Umgang mit der historischen Stadt deutlich. So lassen die Planungen des Nikolaiviertels den Weg von der städtebaulichen Moderne hin zu einer Architektur, die sich an den historischen Strukturen und der Geschichte der Stadt orientiert, nachvollziehen. (vgl. u. a. Goebel 2003: 297, Urban 2007)
Vor rund 800 Jahren begann die Geschichte des Nikolaiviertel, als die Nikolaikirche um 1230 erbaut wurde. Nachdem das Quartier, das neben kleinteiligen Bürgerhäusern Großbauten der Zeit der Jahrhundertwende aufwies, im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, war das Gebiet südlich des Alexanderplatzes lange Zeit unbebaut. Pläne für den Wiederaufbau des Areals wurden erst ab den 1960er Jahren entwickelt, allerdings berücksichtigten diese noch keine historischen Strukturen. Noch 1968 stand der Erhalt der Nikolaikirche zur Debatte. Nachdem der Bezirk Mitte 1976 gefordert hatte, einige sanierungsbedürftige Altbauten abzureißen, wurde auch die Denkmalpflege aktiv, unterstützt durch den VEB Denkmalpflege und dem Bereich Historische Bauten im Bezirksbauamt. (Goebel 2003: 299) Das Viertel wurde im selben Jahr als „Wohnkomplex Rathausstraße“ in das Wohnungsbauprogramm für Ost-Berlin aufgenommen. Ziel sollte es sein, historisch überkommene Strukturen zu erhalten und gleichzeitig um Neubauten in industrieller Bauweise zu ergänzen. Das heutige Nikolaiviertel mit seinen Wohn- und Geschäftshäusern, der Vielzahl an Läden, seiner Gastronomie und der Nikolaikirche im Zentrum, ist das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs: der 1978 ausgelobte „Ideenwettbewerb für die architektonische und funktionelle Gestaltung des Komplexes Rathausstraße im Zentrum der Hauptstadt der DDR, Berlin“. Als Sieger ging aus dem Wettbewerb das Kollektiv BMK Ingenieurhochbau Berlin unter der Leitung des Architekten Günter Stahn hervor.
Nachdem der Siegerentwurf noch starke Bezüge zur Moderne aufwies, wurde bis 1983 ein Entwurf entwickelt, der historische Elemente und Strukturen aufgriff und mit der Großtafelbauweise verband (vgl. Urban 2007). Leitbild des Entwurfs war die „‘für die Entwicklung Berlins baugeschichtlich so bedeutsame Epoche des 17. und 18. Jahrhunderts‘“ (Urban 2007:120) – damit wurden die Gebäude des Nikolaiviertels an ein „konsistentes Bild“ (Urban 2007) der Geschichte Berlins angepasst. Einzelne an anderen Orten stadtbildprägende Gebäude, die Jahrzehnte vorher abgerissen worden waren, wie die Gaststätte „Zum Nußbaum“ oder die Gerichtslaube, wurden rekonstruiert. Mit der „neo-historischen“ (Urban 2007) Neubebauung wurden an der historischen Grundstruktur orientierte neue Wege- und Sichtbeziehungen geschaffen.
Das Nikolaiviertel wurde am 14. Mai 1987 pünktlich zum 750jährigen Jubiläum Berlins eingeweiht. Die Vorbereitungen zur 750-Jahr-Feier und damit auch der Bau des Nikolaiviertels trugen wiederum dazu bei, dass an anderen Orten in der DDR die Ressourcen für den Erhalt und die Sicherung des Bestands fehlten, da Baumaterialien und Arbeitskräfte aus den Bezirken der DDR nach Ost-Berlin geordert wurden.
Mit der Fertigstellung des Nikolaiviertels wurde der historische Gründungsort Berlins wiedergewonnen und im Zusammenspiel aus Alt- und Neubauten ein neues Wohn- und Geschäftsviertel geschaffen. Benedikt Goebel fasst das Nikolaiviertel als Ergebnis von langjährigen Debatten zusammen als „ein Kompromiß zwischen neu erwachter Begeisterung für die Stadtgeschichte auf der einen und alten Scheuklappen bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit und ökonomischen Zwängen bei der Bauausführung auf der anderen Seite.“ (Goebel 2003: 302)
2018 wurde das Nikolaiviertel als städtebauliches Denkmal in die Berliner Denkmalliste aufgenommen.
Autorin: Jana Breßler